Randi Robertson

Norwegerin, 1923 geboren. Überlebende von Gulag - Gefangenenlager der Sowjetunion 1945-1953. Fotografiert 2004.

Sie ist verliebt, das junge Mädchen aus Eik in Tønsberg. Wir haben das Jahr 1941, es ist Krieg, und der Mann zu dem sie sich stark hingezogen fühlt, der Österreicher Alois Reith, ist auf deutschen Befehl in Norwegen. Eine solche Verbindung wird nicht ohne Probleme für die junge Randi Robertson bleiben.

Ihr geliebter Alois stirbt kurz darauf, als er an die russische Front geschickt wird. Aber seine Mutter erhält ein Bild von Randi und deren Adresse und nimmt Kontakt zu ihr auf. Die beiden ver- stehen sich so gut, daß Randi ihre ärmlichen Verhältnisse und den alkoholkranken Stiefvater verlässt. 19 Jahre alt reist sie nach Deutschland.

Sie bekommt eine Anstellung in einem Hotel und sie besucht oft Alois` Mutter in Wien.

Randi Robertson verliebt sich abermals: in einen öster- reichischen Zahnarzt. Sie verloben sich und warten nur noch auf Randi`s norwegische Papiere, um heiraten zu können.

Aber auch diesmal soll es nicht dazu kommen. Der Verlobte wird nach Frankreich an die Front abkommandiert und fällt. Das Kriegsende ist bereits abzusehen, die Sowjets marschieren auf Wien zu, die Stadt, in der Randi nun zu Hause ist.

Ohne gültigen norwegischen Pass und ohne daß das norwegische Konsulat es schafft ihr zu helfen, wird es gefährlich für Randi. Sie flieht aus Wien in einen kleinen Ort, wird aber von den Sowjets gefasst und arrestiert. Sie wird der Spionage beschuldigt, was sonst sollte ein junges Mädchen aus Tønsberg in Wien während des Krieges machen?

Ab 12. Mai 1945 ist Randi Robertson sowjetische Gefangene, sie wird zu 10 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.

Die Strafe soll im GULAG verbüßt werden, einem Netzwerk von insgesamt 476 Gefangenenlagern in der Sowjetunion. Mindestens 28 Millionen Menschen sollen sich in diesen Lagern in der Zeit von 1917-1989 aufgehalten haben.

In dieser Zeit bauten die Sowjets große Teile ihrer Industrie auf, alles mit Hilfe von Zwangsarbeitern, Die Gefangenen arbeiteten im Forstwesen, im Bergbau, im Bauwesen, als Baumfäller, in Fabriken, sie konstruierten Flugzeuge und Waffen. Die Schiffswerft Sevmash, die Nickelfabrik Norils Nickel in Sibirien, Eisenbahnschienen, die bis nach China gelegt wurden; all das stellt nur einen kleinen Teil der Arbeit dar, die von den vielen Zwangsarbeitern ausgeführt wurde, und welche ein wohlüberlegter Bestandteil des plan- ökonomischen Systems der Sowjetunion war.

Randi Robertson ist 8 Jahre lang ein Teil dieses Systems, als Gefangene Nummer E 502. Sie ist wie ein Mann gekleidet, erinnert sie sich. Sie haben alle die gleiche Kleidung an, ob es nun 50 Grad plus oder 50 Grad minus sind. Randi ist mehrmals dem Tod nah, vor Kälte, Hunger oder Erschöpfung.

Sie versteht bald, das sie ja eigentlich die Zwangsarbeit gar nicht überleben soll. In einem Zeitraum von 25-30Jahren sterben etwa 4-5 Millionen Menschen unter den extremen Verhältnissen und der schweren Arbeit in den GULAG Lagern.

In den ersten Arbeitslagern wiegt Randi 36 kg. Sie leidet unter Typhus. Die ersten russischen Worte die sie lernt sind Wasser und Brot. Aber es soll noch schlimmer kommen für das Mädchen aus Tønsberg. Ihr Bauch wåchst. Mit 22 Jahren ist sie schwanger, Adresse: Gefangenenlager Kiew, Ukraine.

Am 6. Januar 1946 wird die kleine Laila geboren. Nur ein Laken hat Randi um das Neugeborene einzuwickeln. Randi tut ihr äußerstes, um Laila am Leben zu erhalten. Sie schreibt verzweifelte Briefe nach Norwegen, aber die erhoffte Hilfe bleibt aus. Sie versucht Adoptiveltern für ihre Tochter zu finden, aber es gelingt ihr nicht, sie aus dem Lager heraus zu bekommen.

Das kleine Mädchen wird nur acht Monate alt, es stirbt an Tuber- kulose und Unterernährung. Ein kleiner Sarg wird ge- zimmert, aber Randi erfährt nicht wo ihre Tochter begraben wird. ” Das war das Schlimmste, was mir bei den Sowjets passiert ist”, sind ihre Worte über Lailas Schicksal.
Es sollen noch fast sieben Jahre vergehen nach dem Tod des Kindes, bis Randi Amnestie erhält. 1953 erlangt sie ihre Freiheit, im Jahr von Stalins Tod. Von den ca. 212 nor- wegischen Gefangenen die im GULAG gefangen waren, war Randi Robertson eine der rund 150 Überlebenden.

Als man sie frei lässt, ist sie dem Tod nahe, sie hat mindestens 8 verschiedene Arbeitslager überstanden: Odessa, Kiev, Severodvinsk, Arkhangelsk, Ust-Kut, Kirensk, Bratsk, Taisjet.

Aber nun ist sie endlich in Norwegen. Das Mädchen aus Tønsberg reist zurück in ihre Heimatstadt. Aber herzlich willkommen heißt man sie nicht am 29. November 1953: eine leere Bahnstation, ohne Familie, ohne Freunde.

Hier glaubt niemand die Geschichte die sie erzählt. Noch über Jahre hinaus verdächtigt man sie, Spionin für die Sowjets gewesen zu sein.

Randi Robertson meint, mehr als 20 Jahre nach ihrer Befreiung aus den GULAG Lagern von den norwegischen Behörden überwacht worden zu sein.