Rolf Pächnatz

Deutsch, 1927 geboren. Soldat der Wehrmacht und Überlebender der russischen Kriegsgefangenschaft 1944-1945. Fotografiert 2006.

Diesen 1. Tag haben sie nur 15 km geschafft. Die deutschen Soldaten, nun Kriegsgefangene der Russen, schleppen sich zu Fuß nordwärts von Brandenburg nach Frankfurt/Oder. Das ist im Jahr 1945.

Die Soldaten sind schon entkräftet und krank seit jenen letzten Kampftagen. Viele brechen während des Marsches zusammen und werden erschossen. In dem Dasein, das sie erwartet, sind sie so nichts wert.Aber es herrscht Überlebensinstinkt bei den Gefangenen. Das Marschtempo steigt im Takt mit den Maschinengewehren, die abgefeuert werden. Insgesamt müssen die Soldaten 310 km zurücklegen bis zu ihrem Ziel.

Der 17 jährige Rolf Pächnatz ist einer in der Marschtruppe. Nach Hitlers Kapitulation gerät er erst in amerikanische, dann in russische Hände. Auf dem Marsch in Richtung Oder ahnt er noch nicht was ihn erwartet. Tausende Kriegsgefangene strömen auf die minenverseuchten Gebiete an der polnischen Grenze zu.

Rolf wird einem Bataillon von insgesamt 500 Soldaten zugeteilt. Sie erhalten jeder eine Holzstange, so lang wie sie selbst.

Ein fingerdicker Stahldraht, zu einem messer- artigen Werkzeug zugespitzt, ist an der Stange befestigt. Mit diesem Gerät haben sie die endlosen Ackerflächen zu säubern. Eine Arbeit von der sie keine Ahnung haben. Bald werden sie sie auf besonders brutale Art Kenntnisse erwerben.

Es handelt sich um Panzerminen, Landminen und die gefährlichsten, den Minentyp S 35. Haben sie erst eine Mine beim Herumstochern entdeckt, ist es wichtig die nächste zu finden, um das Muster zu erkennen, nachdem sie ausgelegt waren.

Ab und zu sind Minen und Granaten mit einander verknüpft, so daß sie der Reihe nach explodieren, als Dominoeffekt.
Das geht sehr oft schief. Rolf erinnert sich wie ein Schuh, an ihm vorbei, durch die Luft fliegt. Im Schuh steckt ein Fuß. Der Fuß vom Mann an Rolf ́s Seite. Um den Schuh mit dem Fuß zu holen läuft Rolf zurück am schon ausgetretenen Pfad. Er muss dem Pfad folgen, sich nicht auf die unsicheren Felder bewegen.

Er findet ihn, ergreift ihn, läuft zurück und versucht ihn wieder ans Bein zu binden. Er erinnert sich, dass sie lernen wie man reagieren muss, wenn die am meisten gefürchtete S 35 in der Luft explodiert und schon auf 20 Meter Abstand tötet, erinnert sich wie sie lernen direkt der Explosion entgegen zu laufen, unter der Mine hindurch, sodass sie sich im toten Winkel des Minenhagels bewegen. Das kann ihnen das Leben retten.

Dauernd hört man Explosionen und durchdringende Schreie. Der einzige kleine Pferdewagen den sie haben, wird auf dem langen Heimweg von bis zu 30 km mit Verwundeten beladen. Sie brauchen bis zu sechs Stunden für diesen Weg.

Die meisten verbluten bevor sie das Lager erreichen. Die Soldaten, die gehen können, werden von den russischen Wächtern gezwungen zu singen.

Ein Versuch, das Jammern zu übertönen. Weigern sich die Gefangenen zu singen, wird ihnen das Essen entzogen. Die Gefangenen singen!

Rolf denkt nicht daran, dass er eines dieser Opfer sein kann, er erinnert sich an diese Zeit als eine Art Traum, eine Wirklichkeit, die er nicht auf sich beziehen kann. Einige der Männer sterben aus reiner Angst, erinnert er sich.

Aber Rolf wird schwer krank, er bekommt Gelbsucht, vom Fisch den er isst. Verdorbenem, mehrere Tage altem Fisch. Es gelingt ihm, Zucker zu stehlen und damit überlebt er. Er ergänzt seine Ernährung mit ein wenig feuchtem Brot aus Mais und Hafer.

Dazu etwas Wassersuppe wenn sie ins Lager zurück kommen. Haben sie Glück, detonieren die Minen auf reifen Kornäckern. Korn, das die Hosentaschen auffüllt und später die Mägen.

Die Tage gehen dahin. Dauernd sterben Soldaten. Die Überlebenden versuchen sich die Namen der umgekommenen zu merken.

Es ist ihnen wichtig, dass Namen und Leben nicht einfach da draußen auf den Äckern verschwinden. Sie fragen sich gegenseitig die Namen ab. Wieder und wieder, um zu erinnern. Aber bald sind die Toten in der Überzahl.

Die Überlebenden können sich nicht mehr alle Namen merken. Nach weniger als fünf Monaten sind nur noch 150 Mann von Rolfs Bataillon übrig. Sie waren mal 500. Ständig wird ihnen Entlassung versprochen.

Diejenigen, die 100 Minen ausgraben und detonieren, sollen dafür ihre Freiheit bekommen.

Aber als sie auf 100 kommen, stocken die Sowjets auf 200 auf, danach 300 u.s.w. Rolf detoniert insgesamt über 500 Minen während der Monate auf den Äckern von Lebus. Schließlich rettet der Frost die letzten Leute des Bataillons. Es wird unmöglich draußen zu arbeiten.

Sie werden in die Transithalle geschickt, wo über ihr weiteres Schicksal entschieden werden soll.

Hier bleibt Rolf drei Wochen, wird nach und nach sehr geschwächt durch Gelbsucht, Kälte, Hepatitis und Durchfall.

Ein russischer Arzt bescheinigt ihm bei einer Unter- suchung:“ kraftlos“. Das rettet ihn vor der Weiterreise nach Russland. Im Dezember 1945 wird er nach Berlin geschickt. Von hier aus will die Polizei ihn weitersenden, zur Arbeit in einem deutschen Betrieb für Urangewinnung.

Der Betrieb liegt in Frankfurt/Oder. Da beschleicht ihn Angst, tierische Angst. Eine tierische Angst vor den Russen, erklärt Rolf. Er widersetzt sich dem Befehl, setzt sich in die S-Bahn und gelangt in den Westen.

Während der Fahrt fühlt er keine Angst - „Das Einzige was ich denken konnte war, von den Russen fort zu kommen“.