Herman Kahan

Norwegisch – Rumänischer Jude, 1926 geboren. überlebte 4 deutsche Konzentrationslager (Auschwitz, Wolfsburg, Mauthausen und Ebensee) 1944-1945. Fotografiert 2006.

Sie haben eine tägliche Aufgabe, Vater und Sohn, 19 und 52 Jahre alt, gemeinsam in ihrer Baracke. Sie entscheiden sich jeden Abend für ein Thema über das sie reden möchten; Mal ist es über Mathematik, mal über Religion oder es kann eine Anekdote aus dem Talmud, der jüdischen Schriftsammlung, sein.

Nebeneinander auf den schmalen Liegen sitzend wiederholen sie wieder und wieder die Geschichten.

Sie zwingen das Gehirn zu folgen, sie zwingen sich zu denken. Diese Abendgespräche halten sie aufrecht, ungeachtet ihres Aufenthaltes in den vier verschiedenen Gefangenenlagern: Auschwitz, Wolfsburg, Mauthausen und Ebensee. Von Mai 1944 bis zur Befreiung im Jahr danach.

Herman Kahan oder Haim Hersch Kahan, welches sein voller jüdischer Name ist, wurde auf einem Leichenhaufen im Todeslager in Ebensee in Östereich ge- funden.

Das war im April 1945. Eine kleine Bewegung von einem Arm oder Bein, zwischen all den toten Körpern, wird von einem amerikanischen Soldaten bemerkt.

Die Alliierten haben gerade die Kontrolle über das Lager übernommen und sie haben damit begonnen die die Leichen, die sich überall aufhäufen, auf Lastwagen zu legen und zu den Massengräbern zu fahren.

Herman Kahan`s kleine Bewegung rettet ihn. Aber es gehörte mehr dazu, daß Herman, der in der nordrumänischen Stadt Sighat auf- gewachsen war, die 4 Tortur- und Ausrottungslager überlebte, die ein effektives Werkzeug für Hitlers Holocaust waren.

In einer Gefangenschaft, in der man umgeben ist von unbegreiflicher Rohheit gegen Menschen, bedeutet Überlebenstechnik alles.

Jeder Mensch hat seinen eigenen Überlebensmechanismus. glaubt Herman. Vater Arje Leib, genannt Leopold und Sohn Herman Kahan verstehen bald wie sie diese lernen müssen. Sie entdecken die unsich- tbaren Verständigungen der Gefangenen untereinander.

Die kleinen stillen Zeichen, die auf Gefahren aufmerksam machen oder Möglichkeiten ankündigen, sich ein wenig zusätzliches Essen zu verschaffen. Ein Finger, der das Augenlid etwas hochschiebt, bedeutet Gefahr; ein in die Luft gestreckter Daumen ist das Zeichen für den Tod eines Menschen, der” durch den Schornstein ging”, wie sie es nannten.

Sie lernen zu sprechen ohne die Lippen zu bewegen, so daß ein Gespräch mit dem Nachbarn außer- halb der Hörweite der SS Soldaten bleibt.

Überleben ist eine Kombination aus vielen kleinen Dingen, glaubt Herman. Glück, Schlauheit, Erfahrung.

Sie lernen das Gesetz des Konzentrationslagers:

”Du kannst machen was du willst, aber laß dich nie erwischen! ”

Doch am wichtigsten ist es, sich seine Fähigkeit rationell zu sein, zu erhalten und smarte Lösungen zu finden, jeweils einen Schritt voraus zu denken.

Herman`s tägliche Gespräche mit dem Vater retten ihn vor dem Schicksal, das die Nazis so sehr anstrebten: den Menschen so vollständig umwandeln, erniedrigen, dass er beinahe zum Tier wird.

Nach einiger Zeit wird man passiv, apathisch und ab- gestumpft und es wird unmöglich, mehr zu machen als essen-trinken-schlafen. Ein Mensch braucht geistige Kraft um zu überleben.

Herman denkt zurück: Sie sind angetreten zum Appell. Draußen sind 15,16,17 Grad minus. Ein dünnes Hemd, eine Hose aus Baumwollstoff, keine Schuhe.

Da kommt eine Anfrage der Soldaten: ob hier jemand buchbinden kann. Herman hebt sofort die Hand. Sein Onkel ist Buchbinder. Herman war ab und zu bei ihm und hat zu- geschaut.

Er ist kein Buchbinder, beherrscht die Techniken nicht. Aber eine Woche in der Wärme, eine Woche mit Essen, das gibt neue Kräfte.

”Hätte ich mein Gehirn träge werden lassen, hätte ich nicht in diesen Bahnen denken können” sagt Herman heute. ”und ich hätte jene Woche nicht überlebt.”

Herman beobachtet, wie seine Mitgefangenen das kleine Brotstück, das sie erhalten mit zwei Bissen verschlingen.

Er selbst steckt es in seine Brusttasche, beißt ab und zu mikroskopische Stückchen davon ab. Er denkt, dass so die Verdauung mehr normal funktionieren wird, merkt, dass das Hungergefühl etwas schwächer wird.

Er zwingt sich, einen Schritt weiter zu denken als gerade jetzt, wo der hysterische Hunger ihn jagt. ” Ich konnte denken weil ich das Gehirn in Bewegung gehalten habe.

Herman mogelt bei den schwersten Arbeiten, er erfindet ein System des ”Scheinarbeitens” beim Bohren von Tunneln, unterirdischen Tunneln, in denen Hitlers Raketen produziert werden sollen. Aber er bohrt nicht wirklich. Herman lernt, den Bohrer ohne Kraft zu schütteln.

Das ist eine enorme Ersparnis seiner wenigen Kräfte. Eine einfache Idee, aber die meisten kamen gar nicht darauf, sagt Herman.
Aber glückliche Zufälle spielen auch eine Rolle. Es sind keine Überlebenstechniken, die Vater und Sohn retten, als Schäferhunde losgelassen werden, die die nackten Gefangenen zerreißen und totbeissen. Und es ist keine Technik, die angewendet werden kann, dass Herman insgesamt 50 Schläge mit dem Gummiknüppel überlebt.

Dies sind sicher Zufälle, Glück, vielleicht ein freundlich gesinnter Soldat, der nicht mit Todesverachtung zuschlägt.

Vater und Sohn Kahan sind unbedingt voneinander abhängig in ihrem Kampf um`s Überleben. Während der Vater den Sohn geistig aufrecht erhält, ist der Sohn körperlich stärker als der Vater.

Er nimmt Bestrafungen auf sich, die der Vater nicht überlebt hätte. Als Leopold es einmal nicht schafft zum Appell anzutreten, erhält er die gefürchteten 25 Schläge mit dem Knüppel, Schläge, die das Becken brechen, an denen man in der Regel nach 2 Tagen stirbt. Herman überlebt dies zweimal.

Der Körper des Vaters hätte eine solche Bestrafung nicht überstanden. Herman`s Seele hätte ohne den Vater dieses Dasein nicht überlebt.

”Er war eine Art Wegweiser, der mit die geistige Stärke gab. Die Psyche hat größere Macht den Körper zu stärken als umgekehrt”.

Der Vater stirbt sechs Tage nach der Befreiung. Er hat noch erfahren daß Hermann überlebt hat.

Herman sagt, daß er nie Bitterkeit verspürt hat, daß er die Deutschen nie gehasst hat. ” Hass ist eine Krankheit. Ich bin davon verschont geblieben. Jeder Einzelne hat die Verantwortung dafür, dass dies nie mehr geschieht.